Die finnische Regierung will Massenüberwachung legalisieren
von Nomi Byström
Digitalisierung führt zu vielen Ideen, zu guten, schlechten und zu grässlichen.
Wir haben Initiativen gesehen, die hoch hinaus wollen – bis ins All: Eine Arbeitsgruppe zum Thema „Faire und intelligente Transportmittel“, geleitet von Jorma Ollila (Vorsitzender von Royal Dutch Shell und ehemaliger führender Mitarbeiter des Mobiltelefonherstellers Nokia), schlug ein System für die Überwachung aller Autos mit GPS vor, um die Maut abzurechnen. Die Auswirkungen, die ein solches System auf die Privatsphäre aller Menschen hätte, wären beispiellos. Es hätte sicherlich die Datenschutzgesetze gebrochen.
Nachdem der europäische Gerichtshof im April 2014 die Vorratsdatenspeicherung für grundrechtswidrig erklärte, musste Finnland die eigenen Gesetze daraufhin überprüfen. Der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kommunikation stellte fest, dass Änderungen an den Gesetzen nötig waren, die das Speichern von Daten durch Telekommunikationsanbieter regulieren.
Ein Gesetz zur Internetüberwachung wird vorbereitet
Allerdings steht außer Frage, dass die wichtigste Zankapfel in Finnland das neue Internet-Überwachungsgesetz ist. Im Vergleich zu seinen Nachbarn Schweden oder Russland hat Finnland bisher kein solches Gesetz. Die Sicherheitsbehörden haben schon länger das Recht gefordert, Internetüberwachung durchzuführen, doch bisher gab es keinen Konsens über den Namen eines solchen Gesetzes, geschweige denn über den Inhalt.
Nach den Snowden-Enthüllungen herrscht in Finnland die Sorge, dass das Land den Beispielen von England und den USA folgen könnte.
Es geht darum, welche Rechte die finnischen Streitkräfte und vor allem der finnische Geheimdienst Supo erhalten werden. Im Moment gibt es keine Rechtsgrundlage, auf deren Grundlage der Supo Internetüberwachung betreiben könnte.
Außerdem stellt sich die Frage nach den Grundrechten auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit: Durch Finnlands Verfassung sind Telefongespräche und andere Kommunikation geschützt. Allerdings existiert auch dort eine Ausnahme für Zwecke der Strafverfolgung.
Weitreichende Konsequenzen
Ein Internetüberwachungsgesetz könnte noch weitreichendere Konsequenzen haben: Es könnte Finnland in eine Situation bringen, wo es gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Außerdem hat der europäische Gerichtshof durch sein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gewisse Grenzen gesetzt, die Finnland nicht einfach ignorieren kann. Und auch wirtschaftliche Folgen sind denkbar: Finnland könnte inmitten der Wirtschaftskrise seinen Ruf als sicherer Knotenpunkt für die Datenübertragung verlieren.
Stellungnahmen aus allen Bereichen der Gesellschaft
Die vorige Regierung begann die Vorbereitungen für den Gesetzentwurf und am 14. Januar 2015 wurde dazu ein Bericht der Arbeitsgruppe des Verteidigungsministeriums veröffentlicht.
Die Richtlinien zur Entwicklung der finnischen Geheimdienstgesetzgebung empfehlen, dass sowohl militärische als auch zivile Sicherheitsbehörden ermächtigt werden sollen, grenzüberschreitende Überwachungsmaßnahmen zu betreiben. Ein unabhängiger Prüfprozess soll Teil der Online-Überwachung werden. Außerdem soll ein unabhängiges Aufsichtssystem zu diesem Zweck geschaffen werden. Der Bericht stellt fest, dass es nicht möglich zu sein scheint, Gesetze zur Telekommunikationsüberwachung auf den Weg zu bringen, ohne die Verfassung zu ändern. Über 150 Organisationen, Ministerien, Parteien, Professoren und andere Personen wurden um eine Stellungnahme gebeten – auch Electronic Frontier Finland (Effi).
Effi gab eine rechtliche Einschätzung des Berichts ab. Die Organisation begrüßt, dass für die Landesverteidigung notwendige Überwachungsmaßnahmen gesetzlich geregelt werden. Sie begrüßt außerdem, dass der Bericht Einzelpersonen nicht das Recht abspricht, sich gegen Überwachung zu verteidigen (etwa durch ein Verschlüsselungsverbot) und auch Unternehmen nicht zwingt, Hintertüren in ihre Produkte einzubauen.
Alarmglocken schrillen
Dennoch ließ der Bericht die Alarmglocken schrillen, denn er empfiehlt einen Pfad, der de facto Zugriff auf die Gesamtheit des Online-Verkehrs eröffnen würde. Das würde der Verfassung widersprechen, internationale Grundrechte verletzen und durch die Gewissheit, ständig überwacht zu werden, eine einschüchternde und abschreckende Wirkung entfalten.
Rechtsstaatlichkeit, Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung und das Postgeheimnis müssen zugesichert werden. Laut Effi bedeutet dies, dass zwischen militärischer und ziviler Überwachung unterschieden werden muss. Der Geheimdienst Supo soll Online-Kommunikation nur in Situationen überwachen dürfen, wo kriminelle Aktivitäten vermutet werden.
Effi schlägt acht Punkte für den Gesetzentwurf vor.
Der achte und letzte Punkt betont, dass Datensicherheit und nicht Überwachung der richtige Weg ist, um dafür zu Sorgen, dass das Recht auf Privatsphäre und das Vertrauen in die Technik nicht zerrüttet werden.
Die Internetüberwachung wirft grundsätzliche ethische Probleme auf, und paradoxerweise könnte sie eher zu einer Verunsicherung führen als zu dem, was sie bewirken soll. Was wird aus einer Demokratie, wenn ihre Bürger fürchten müssen, dass der Internetverkehr überwacht wird? Was wird aus Finnlands Ruf als sicherer Hafen für Datensicherheit? Er würde irreparabel beschädigt.
Auch die Bedürfnisse der Geschäftswelt und der Industrie sollten nicht ignoriert werden: Beide sind besorgt, dass das geplante Gesetz sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Attraktivität für Investitionen beschädigen könnte.
Fehlende Zusicherungen, die Grundrechte zu achten
Ein Folgebericht der Arbeitsgruppe, der die Stellungnahmen einbezog, erschien am 30. Juni 2015 und betonte, aufgrund internationaler Überlegungen sei es dringend notwendig, das Gesetz voranzutreiben.
Obwohl der neue Bericht die Beiträge von Effi und anderen würdigt, hat er doch ähnliche Schwächen wie sein Vorgänger vom Januar 2015. Der Teufel steckt nicht im Detail, sondern in den fehlenden Zusicherungen, die Grundrechte zu achten.
Am 20. August begann das finnische Parlament offiziell mit der Vorbereitung auf die Gesetzgebung. Bis dahin bestand noch geringe Hoffnung, dass es nicht zu einem Massenüberwachungsgesetz kommen würde.
Das Kernproblem ist jetzt: Wenn das neue Gesetz in Kraft tritt – dessen Wortlaut bei Redaktionsschluss im Januar 2016 noch nicht bekannt ist – bleibt es doch eine Tatsache, dass Finnland an internationale Menschenrechte und die EU-Grundrechtecharta gebunden ist und sie achten muss. Sie bleiben bestehen, auch wenn die finnische Verfassung geändert wird.
Nomi Byström war Direktorin von Electronic Frontier Finnland (Effi)
Übersetzung aus dem Englischen: Digitalcourage/Erich Krichbaum